von Gerd Scherm

    Pressestimmen / Rezensionen

Gerade erscheint Gerd Scherms drittes Buch aus der Reihe um den kurzsichtigen Kleinwelten-Gott GON. In den ersten beiden Bänden “Der Nomadengott” und “Die Irrfahrer” irrt die verrückte Gruppe um den Schreiber Seshmosis durch die Welt des Alten Testaments und Griechenlands. In diesem Band sind sie nun im germanischen Mythenkreis angekommen. Mal abgesehen davon, dass ich mich mal wieder bekullere angesichts der feinsinnigen Ironie.
Gerd Scherm spielt die Flöte des Humors über so viele Oktaven und mit so vielen Obertönen, dass am Ende etwas ganz anderes hörbar wird, nämlich der Kern der Menschlichkeit.

Schreiber haben eine besondere Verantwortung

Auf unsere Diskussion von gestern nach der besonderen Verantwortung von Bloggern gebe ich damit eine vielleicht ganz kuriose Antwort. Ich zitiere einfach eine der feinsinnigsten Stellen aus dem Schluss der “Weltenbaumler”. Dort will sich Seshmosis der “Gilde der vollkommenen und auserwählten Schreiber” anschließen. “Er dachte, hier ginge es um Ehre, einträgliche Beziehungen und lukrative Aufträge.” (S. 370) Doch nun muss er erkennen, dass er mitten in einem Prozess der Sinnfindung steckt, an dessen Höhepunkt ihm der Meister der Schreiber-Gilde die Spitze des Griffels an die Brust, genau an der Höhe des Herzens setzt.

„Spürst du den Schmerz, den ein Griffel bereiten kann?“, fragte der Meister.
„Ja“, gab Seshmosis bereitwillig zu, denn es tat wirklich weh.
„Dieser körperliche Schmerz soll dich immer daran erinnern, welche Schmerzen geschriebene Worte zufügen können.”

Yep, und das gilt auch im Internet!

Thomas H. Kaspar, "CHIP online" – 19. Mai 2008

 

Eigentlich will Seshmosis nur in Ruhe seine Tani heiraten und dann möglichst der Gilde der Schreiber beitreten. Leider hält das Schicksal anderes für ihn bereit. GON, der Gott ohne Namen, sagt, er müsse zu einer neuen Fahrt aufbrechen um den letzten seiner Nachfahren zu retten. Seshmosis ist wenig begeistert, doch immerhin kümmert sich GON wirklich um seine Gläubigen, nicht wie gewisse andere Götter. Mit der Macht GONs durch Zeit und Raum befördert landen Seshmosis und seine Begleiter bald schon in Eisland. Reiche Handelsmöglichkeiten tun sich auf und inmitten jener nordischen Gesellschaft sagen die Runen, wohin Sesmosis, GON immer gemütlich im Lederbeutel, sich zu wenden hat. Dummerweise lösen die Asen und Wanen jedoch das Ragnarök aus und fordern, dass die Welt in einer großen Schlacht zu Ende geht. Dagegen haben nur die anderen Religionen etwas und Jahwe sendet Metatron um zu verhandeln. Wobei verhandeln bedeutet: ihr lasst den ganzen Krams mit Ragnarök sein und es geschieht genau das, was ICH geplant habe. Selbstredend haben auch die Götter anderer Gegenden und Kulte noch ihre eigenen Vorstellungen. Den mythischen Kreaturen der Nordgötter hingegen sagt so ein Ende gar nicht zu und sie hauen schlichtweg ab. Zudem stolpern noch einige Burgundern vom Rhein durch Island um eine gewisse Brünhild zwecks Hochzeit in ihre Heimat zu führen. Selbstredend gerät Seshmosis mitten hinein. Die Zeit scheint zudem auch gewisse Schwierigkeiten haben, sich darüber klar zu werden, wann eigentlich ist.

Das Buch erhält 9 von 10 Punkten.

Was passiert, wenn die Götter vieler Kulturen aufeinander treffen? Mit den verschiedenen Weltschöpfungsmythen gibt es kein Problem - das ist ja bereits geschehen. Mit dem Weltende sieht es da schon problematischer aus. Den vielen Göttern setzt Scherm hier GON entgegen, der sich auch deutlich von den anderen unterscheidet. GON ist keineswegs machtlos und kann es mit einigem aufnehmen - er sieht lediglich keinen Grund, sich riesengroß aufzuspielen und kümmert sich lieber um wenige Gläubige - und das vernünftig.

Wie ich erst bemerkte, nachdem ich die letzte Seite gelesen hatte, ist „Die Weltenbaumler“ Teil einer Serie, die in „Der Nomadengott“ begonnen wurde. Ein Einstieg ist problemlos möglich, zumal ich den Seriencharakter gar nicht bemerkte. Sicherlich: im Vergleich ist der Einstieg sehr abrupt und schnell, aber in einem Genre, das für elend lange Prologe und Vorerklärungen berüchtigt ist, wirkt dies auch erfrischend. Alles Nötige wird schnell dargelegt und dank der Konzentration auf Archetypen in den Charakteren gibt es keine Verständnisschwierigkeiten. Inwieweit die Lektüre der vorigen Bände Tiefe hinzufügt, kann ich logischerweise nicht sagen.

Die Handlung der „Weltenbaumler“ beginnt zwar in Ägypten bzw. Byblos, spielt aber fast ausschließlich in Eisland (Island). Einige Mythen aus anderen Mythenkreisen werden berührt, aber zentral sind die wohl bekanntesten Stellen der Edda und des Nibelungenlieds, der nordischen Mythologie also. Stets wird Witz versprüht, mitunter dadurch, dass jede Religion den alleinigen Wahrheitsanspruch für sich in Beschlag nimmt: man zähle einmal auf, auf wie viele Arten sich die Sonne fortbewegt! Die Geschichte die hier erzählt wird unterscheidet sich auch weiterhin stark von der Edda: die Dinge sind viel profaner. In hohem Tempo wird durch verschiedene bedeutende Stationen der Asgarder gezogen, die hier deutlich makelbesetzer sind als üblich. Dies gilt auch für andere Figuren: Die Zwerge Brokk und Sindri sind beispielsweise nicht einfach geschickte Handwerker sondern auch ziemlich verrückte Erfinder bei denen nicht alles gut geht - denn gut gehen und funktionieren ist nicht dasselbe. Die philosophische oder religiöse Ebene geht dabei nie in die Tiefe und parodiert vielmehr bekannte Szenen – gänzlich Unkundige der nordischen Mythologie dürfte ein Teil des Spaßes jedoch abhanden kommen.

Das Nibelungenlied bildet die parodistische Grundlage der zweiten Hälfte und erzählt dessen Entstehung – mit gewissen Diskrepanzen, auf deren Ursprung der Name des Dichters bereits hinweist: Wahnfried. Helden, glorreiche Könige, böse Drachen? Nicht ganz.

Um auch jenen, die sich nicht in nordischer Mythologie auskennen, entgegenzukommen, übersetzt oder erklärt Scherm die Namen der Wesen. Dies ist meines Erachtens recht zwieschneidig: einerseits mögen diese neuhochdeutschen Namen manchem das Verständnis der altnordischen Namen erleichtern; andererseits wirken sie bisweilen wie doppelte Aufzählungen und sind Kennern der nordischen Mythologie bekannt. Von diesen, so wage ich einmal zu behaupten, gibt es unter den Fantasy-Lesern verhältnismäßig viele. Immerhin wurde darauf verzichtet, die Szenen genau in die Edda einzuordnen – dies wäre nur lästig gewesen. Zu gelegentlichen Originalzitaten (mit Quellennachweis) kann man geteilter Meinung sein – mir fielen sie eher aus dem restlichen Text hinaus, statt zur Stimmung beizutragen.

In jeder anderen Hinsicht bringt Scherm hier den beweis, dass deutsche Autoren sehr wohl humoristisch und auf hohem Niveau Fantasy schreiben können. Bei (guter) humoristischer Fantasy bietet sich fast immer ein Vergleich mit Terry Pratchett an. Scherm ist anders: Nur gelegentlich findet man den ausgeprägten Pratchettschen Zynismus gegenüber den Menschen bei Scherm. Die Götter existieren hier und der Mensch kennt seinen Platz. Die parodistische Wirkung bezieht Scherm aus der Diskrepanz mit den Vorlagen: Die "Helden" des Nibelungenlieds und auch die Götter sind einfach ganz anders; die Lieder stilisieren lediglich. Spannung gibt es vergleichsweise wenig: wie alles endet - zumindest in etwa - ist bekannt. Zumindest glaubt man das, denn gerade die Dreher in der "wahren Geschichte" sorgen immer wieder für Überraschung ohne sich allzuweit vom echten Lied zu entfernen. Dennoch liest man weiter, denn es ist einfach skurril, komisch und interessant, wie die Protagonisten-Clique mehr oder weniger unbekümmert durch die Weltgeschichte segelt.

Insgesamt ist "Die Weltenbaumler" eine flotte Lektüre, die insbesondere Freunde der nordischen Mythologie und des Nibelungenliedes ansprechen wird - sofern sie nicht der Meinung sind, dass man an einen derart alten Stoff nur ernsthaft herangehen darf. Dann heißt es: Hände weg. Ansonsten: Kaufen, aufschlagen, und einige Stunden Lesezeit reservieren. Ich jedenfalls habe mir die ersten beiden Nomadengott-Teile als gelegentliches Lesefutter vorgemerkt

www.buechernachlese.de.vu
von Ulrich Karger

Nach Der Nomadengott und Die Irrfahrer bewahren GON und sein Prophet Seshmosis die germanische Götterwelt vor dem Ragnarök und schlagen sich wenig später auf die Seite Brünhildes, als diese von Gunther und Siegfried schmählich ausgetrickst wird. Gerd Scherm, u.a. Gastdozent im Fachbereich Kultur- und Religionssoziologie an der FU Berlin, erstaunt in Die Weltenbaumler einmal mehr mit einer so witzigen wie fundierten Mythenparodie, die sich durchaus mit den Scheibenweltromanen eines Terry Pratchett messen kann.

Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber

Während der Stamm der Tajarim in der phönizischen Stadt Byblos ein sorgenfreies Leben genießt, träumt Seshmosis von der Aufnahme in die Gilde der Schreiber – und von Tani, einer liebreizenden Priesterin. Seine Visionen einer glorreichen Zukunft finden ein jähes Ende, als GON ihm erscheint, der Gott ohne Namen, der sich Seshmosis als Propheten erwählt hat. In Gestalt eines geflügelten Drachen offenbart er ihm, dass sein einziger Nachfahre in größter Gefahr sei. Trotz all seiner Proteste sieht Seshmosis sich gezwungen, aufs Neue eine Reise ins Ungewisse zu unternehmen, allein geführt von einem Gott, dessen Wirkungsradius gerade mal der Sehweite seiner kurzsichtigen Augen entspricht. Was ihm sein kleiner Gott verschwieg, ist die etwas andere natürliche Umgebung. Auf dem Weg in den Norden lernen die sonnenverwöhnten Tajarim den Begriff kalt ganz neu kennen. Seshmosis und sein Seher Nostr'tut-Amus können auf der Fahrt nach Island ihren Atem sehen. Eine ganz neue Erfahrung. Doch das ist nur nebensächlich.
Zur gleichen Zeit herrscht tiefe Besorgnis im fernen Eisland. Ein vorwitziges Eichhörnchen bringt das Gefüge des Weltenbaums durcheinander, in Asgard wird ein allseits beliebter Gott ermordet, und die mythischen Tiere fliehen aus der Götterwelt, um den Widerstand gegen ihre Herren zu organisieren.
Unter anderem haben Odin, Loki und Hönir ihr Abendessen selbst gejagt. Es ist ein dicker Otter, den sie gern zubereiten lassen wollen. Also suchen sie, grölend mit einem Metfass unter dem Arm, ein Haus auf, in dem Vater und Sohn sitzen. Zuerst sind diese sehr erbost, weil Odin die Haustür einschlägt und sich dann als Gott vorstellt. Als er jedoch den Otter auf den Tisch wirft, werden die beiden fuchsteufelswild. Denn Otter ist ihr gestaltwandlerischer Bruder. Loki wird ausgeschickt so viel Gold zu besorgen, wie benötigt wird, um den toten Otter voll damit zu bedecken. Ansonsten kommen Odin, Hönir und Loki nicht frei. Bei diesem Akt der Eigentumsübertragung in Form eines Golddiebstahls fällt Loki ein Ring in die Hände den der Vorbesitzer gerade mal eben verflucht. Frei nach einem alten Kinderlied, das auch der Autor zitiert, „Ringlein, Ringlein, du musst wandern ...“, ist der Ring nun weltweit unterwegs.
Als Seshmosis an Bord der Gublas Stolz die eisige Insel erreicht, wird klar: Ragnarök, der Weltuntergang, steht bevor. Auf Asgard herrscht Ratlosigkeit. Trotzdem sortieren die Lichtalben die Waffen für die letzte Schlacht, die Walküren teilen sich das Schlachtfeld auf usw. Auf der Suche nach seinem Nachkommen gerät der kleine Schreiber aus Byblos unversehens in das unbarmherzige Spiel der Götter. Auf Island führt ihn sein Weg zu den viel gerühmten Nibelungen-Helden: Siegfried, König Gunther und Hagen von Tronje landen im Hafen Eislands. Das ist aber noch nicht alles: Die Fremden aus Ägypten landen in Worms, Nostr'tut-Amus lernt sogar Ortwin kennen, einen ganz besonderen Mann, der die Großen Magier und Seher der Welt kennen lernen durfte. Ortwin ist Kerkermeister zu Worms und Nostr'tut-Amus sein Gast - im Kerker versteht sich.
Ob Gerd Scherm mit seinem „Weltenbaumler“ nur vorhatte, eine Weltreise zu unternehmen und seine Seele baumeln zu lassen, oder ob er damit die Bewohner des Weltenbaums gemeint hat, sei sein Geheimnis und ihm unbenommen. Wer mehr über ihn erfahren und so manches Geheimnis lüften will, mag sich dem phantastischen Bücherbrief 410 zuwenden.
Seshmosis wird von seinem Gott ohne Namen in den wilden Norden ausgesendet, um einen seiner - oder besser: seinen letzten - Nachkommen zu retten. Ob GON nun bedeutet „Gerd oder Nichtgerd“, ähnlich wie bei „Sein oder nicht sein“, oder tatsächlich „Gott ohne Namen“ ist ein weiteres Geheimnis. Das Geheimnis um Seshmosis’ Nachkommen, den es zu retten gilt, ist jedoch nicht so verschleiert. Sonst hätte der Autor diesen Roman nicht geschrieben. Denn er lüftet nicht nur dieses Geheimnis. Gerd Scherm schreibt einen wundervollen phantastischen, humorvollen Roman. Aber er ist auch etwas wehmütig, denn die Trilogie ist damit erst einmal abgeschlossen. Mal sehen, was es Neues von ihm gibt.


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