Scherm, Gerd: Die Irrfahrer (Buch)
Gerd
Scherm
Die Irrfahrer
Titelillustration: Dirk Schulz
Heyne Verlag, 2007, Taschenbuch, 448 Seiten, 7,95 EUR, ISBN 978-3-453-52210-7
Von Carsten Kuhr
Zum zweiten Mal entführt uns der Friedrich-Baur-Preisträger in seine ganz
eigene Welt der Antike.
Seshmosis und sein Nomadengott GON (der „Gott ohne Namen“) sind wieder
unterwegs. Statt aber durch das Sandmeer der Wüste machen sie sich diesmal auf
eine Schiffsreise. Begleitet werden sie von dem Barden EI Vis aus Memphis, dem
Seher Nostr'tut-Amus und den gewohnt umtriebigen Händlern.
Zunächst geht es nach Kreta. In Knossos wird das Heilige Amulett von Phaistos
vermisst, das allein den Herrscher zu küren vermag. Ausgerechnet unser
schüchterner Schreiber hat selbiges von einem zwielichtigen Händler erworben.
Wohin das führen wird, das kann sich der Scherm-kundige
Leser vorstellen. Wir werden ins Verlies des Minotaurus geworfen, begegnen
Ariadne und streiten gegen Theseus, das alles natürlich im Auftrag und
stellvertretend für die Götter. Dass sich die Realitäten ein wenig anders
darstellen, als die Sagen es überliefert haben, sind wir schon gewohnt.
Doch damit nicht genug unternehmen unsere Helden gleich noch eine Zeitreise. In
Troja begegnen sie dann den Kämpen um die Gunst der schönen Helena, wobei der
Autor auch hier mit gezielten Pointen den Gestalten um Odysseus ihren
strahlenden Glanz nimmt. Der geblendete Homer, die Zyklopen und Amazonen sorgen
dann dafür, dass es Seshmosis nicht zu wohl wird, und der Leser aus dem Staunen
nicht herauskommt.
Gerd Scherm hat den ersten Teil der Abenteuer seines Helden unter dem Titel
„Der Nomadengott“ zunächst in einem kleinen Verlag publiziert. Der Zuspruch
sowohl seiner Leser, als auch der Kritiker führen dann zu einer Neuauflage bei
Heyne. Der Erfolg auch und gerade im umkämpften Massenmarkt, in der viele Titel
kaum wahrgenommen werden, und nur mehr für die Remittenden-Tische der
Kaufhäuser produziert werden, zeigt, dass Scherm etwas gelungen ist, das viele
Autoren versuchen und wenige nur erreichen. Sein Roman ragt aus der
austauschbaren Masse heraus, setzt Akzente und unterhält die Leser auf
intelligente Art und Weise.
Auch in vorliegender Fortsetzung baut der Autor auf das bewährte Muster. Mit
ironischen Seitenhieben gespickt wendet er sich von der alten Nilhochkultur ab,
und den Sagenkreisen der Ägäis zu. Dabei verwöhnt er uns wiederum mit
zwerchfellerschütternden Beschreibungen der Minoischen Protagonisten, allen voran
Daedalus, Ikaros und Theseus aber auch der hehren
Streiter vor Trojas Toren. Wir alle haben, noch vor Pisa, in der Schule die
Homer'schen Sagas durchgenommen, und seien wir einmal ehrlich uns meist tödlich
gelangweilt. Kann man das nachvollziehen, dass tausende von Männern, die besten
Streiter ihrer Zeit, mehr als zehn Jahre einer untreuen Frau hinterher stellen?
Scherm zeigt deutlich auf, dass die überlieferte Geschichte immer von den
Siegern geschrieben wird, dass geschichtliche Tatsachen problemlos geschönt
werden können und offeriert uns eine ganz andere Sichtweise des Trojanischen
Krieges. Durch seinen frischen, unprätentiösen Zugang zur Materie macht er
Altbekanntes interessant, verleiht den bekannten Geschehnissen Würze und sorgt
daneben mit leichter Hand für Lesevergnügen par Excellenze.
hinzugefügt: January 28th 2007
Tester: Carsten Kuhr
Punkte:
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